03.01.2022 Tränen der Freude

Im Interview spricht Luigi Tascillo, der scheidende Trainer des Ringer-Bundesligisten und Playoff-Teilnehmers RKG Freiburg, über Erfolge und 200-Prozent-Menschen.

Luigi Tascillo steht kurz vor dem Ende seiner Tätigkeit als Trainer des Ringer-Bundesligisten RKG Freiburg. 28 Jahre hat er verschiedene Ringer-Teams gecoacht, am Samstag könnte sein letzter Heimkampf sein, falls sich die RKG im Playoff-Achtelfinale nicht gegen den SC Kleinostheim durchsetzt. Warum er so lange Übungsleiter war, welches die schönsten sowie unschönsten Erlebnisse waren und wie er einmal einen Kampfrichter überlistete, darüber sprach er mit Georg Gulde.


BZ: Herr Tascillo, das ist eine heikle Situation, die Ihnen am kommenden Samstagabend bevorsteht – oder?
Tascillo: Inwiefern denn heikel?


BZ: Na ja, es sind Playoffs, aber Sie können ja nicht offiziell verabschiedet werden. Das würde von den Fans womöglich als vorzeitiges Scheitern im Achtelfinale gegen Kleinostheim gewertet.
Tascillo: Doch, ich werde am Samstagabend offiziell verabschiedet. Das haben wir im Verein so besprochen. Ich will mich bei einem Kampf in eigener Halle verabschieden, bei dem Zuschauer anwesend sind. Das ist ein Herzenswunsch. Wenn wir uns in Hin- und Rückkampf gegen Kleinostheim durchsetzen sollten, gibt es einen weiteren Fight in der Staudingerhalle – gegen Adelhausen oder Schorndorf. Aber angesichts der Corona-Pandemie kann keiner seriös voraussagen, ob dann am 22. Januar auch noch Zuschauer dabei sein dürfen. Und einen Abschied ohne Zuschauer, das kann ich mir nur ganz schwer vorstellen.


BZ: Wie wird also die Vorgehensweise des RKG-Vorstands sein?
Tascillo: Er wird sicher mir einen kleinen Teil des Kampfabends widmen. Und ich werde voraussichtlich gerührt sein und ein paar Worte an die Besucher richten. Aber es ist ein Playoff-Kampf – und da sollen dann auch die Ringer im Mittelpunkt stehen.

BZ: Wer zehn Jahre als aktiver Ringer dabei war, in allen Gewichtsklassen gekämpft hat und danach in Waldkirch, Kollnau, Gutach-Bleibach und Freiburg insgesamt 28 Jahre Trainer gewesen ist, der hat einiges erlebt. An was erinnern Sie sich am liebsten?
Tascillo: Da gibt es so viele schöne Momente. Als Jugendlicher war es ein tolles Gefühl, die erste Medaille von einem internationalen Turnier nach Hause zu bringen. Unbeschreiblich schön fand ich auch, als ich erstmals italienischer Juniorenmeister geworden bin. Oder als Trainer, wenn eine Mannschaft so zusammenhält und einen Gegner schlägt, der klar favorisiert war.

„Ich habe mir gesagt, so will ich nicht abtreten.“

 

BZ: Welche Ereignisse haben Sie konkret vor Ihrem geistigen Auge?
Tascillo: Der Aufstieg mit dem ASV Kollnau in die zweite Liga in den 1980er Jahren, das Erreichen der Bundesliga-Playoffs mit der RKG Freiburg 2019/20 und 2021/22. Da hatte ich Tränen der Freude in den Augen. Und, das halte ich für ganz wichtig: Es gab im Ringen viele Situationen, und das waren beileibe nicht nur Erfolge, aus denen ich fürs alltägliche Leben, in dem es ja auch Probleme und Niederlagen gibt, gestärkt hervorgegangen bin. Manchmal hat der Sport die Schwierigkeiten auch einfach verdrängt.

 

BZ: Welches Ringererlebnis würden Sie gern aus Ihrem Gedankenschatz streichen?
Tascillo: Ich habe mich schwergetan, wenn ich gegen Leute verloren hatte, bei denen ich gedacht habe, ich würde sicher gegen sie gewinnen. Schwierig war es auch, wenn mir ein Fehler unterlaufen ist bei der Aufstellung oder beim Schreiben des Aufstellungsprotokolls. Wenn das nicht rechtzeitig entdeckt wird, dann musst du vor die Mannschaft hintreten und sagen: „Jungs, ihr habt euch gut vorbereitet. Aber wir verlieren heute den Kampf mit 0:40, weil ich einen Fauxpas begangen habe.“ Das ist nicht einfach.

 

BZ: Wie oft ist Ihnen so etwas bei Mannschaftskämpfen passiert?
Tascillo: Ich denke, zwei- bis dreimal sind mir solche Fehler unterlaufen. Ich hoffe, dass das in 28 Jahren eine noch vertretbare Quote ist.

 

BZ: Was war Ihr skurrilstes Ereignis als Trainer?
Tascillo: Ich glaube das war 2017 beim Bundesliga-Heimkampf gegen Neckargartach. Da habe ich mich flach an den Mattenrand gelegt und dem Kampfrichter bedeutet, dass er den Kampf abpfeifen und dass unser damaliger Ringer Manuel Wolfer zum Sieger erklärt werden muss.

 

BZ: Da hilft das BZ-Archiv weiter. Es war im Oktober 2017 im Freien Stil bis 66 Kilo – tatsächlich gegen Neckargartach. Wolfer traf auf den in jener Saison bis zu diesem Zeitpunkt ungeschlagenen Türken Recep Topal. Wolfer lag bei einem Zangenangriff seines Gegners wohl schon selbst auf dem Buckel.
Tascillo: Ja, und dann sah ich, dass Topal zu weit nach vorn kippte und seine Schultern auch die Matte berührten. Ich intervenierte verbal sehr heftig, der Kampfrichter schaute dann anders auf die Situation – und pfiff ab. Dann erklärte er, zur Überraschung der Zuschauer, Manuel Wolfer zum Sieger. Das war eigentlich nicht korrekt, weil sein Gegner den Griff ausgeführt hatte.

 

BZ: Sie wollten schon 2020/21 Ihre letzte Trainersaison antreten. Es kam die Pandemie, die Runde fiel fast komplett aus.
Tascillo: Da habe ich mir gesagt, so will ich nicht abtreten. Deshalb war ich in dieser Runde nochmal dabei. In Ion Vasilachi habe ich meines Erachtens einen idealen Nachfolger gefunden. Er leitet schon seit fast zwei Jahren die Übungseinheiten oft allein. Er ist in taktischen und kampftechnischen Dingen ein vorzüglicher Trainer. Meine Rolle bestand zuletzt vor allem darin, ihm organisatorisch zu helfen.

 

BZ: Haben Sie einmal zusammengerechnet, wie viel Zeit Sie dem Ringen gewidmet haben?
Tascillo: Schwierig zu sagen. Zumindest habe ich mich aber mehr als die Hälfte meines Lebens irgendwie mit dem Sport beschäftigt. Es gibt als Trainer kaum Tage, in denen das Ringen völlig außen vor ist.

 

BZ: Hat sich das denn gelohnt?
Tascillo: Auf alle Fälle. Ich messe die Zeit fürs Ringen nicht an Materiellem, sondern am Vergnügen, an der Leidenschaft und am Erfolg.

 

BZ: Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie nach dieser Saison im Ringer-Ruhestand sind?
Tascillo: Auf viele Sachen. Bisher war es so, dass ich manchmal den Urlaub vorzeitig beendet habe, weil mit den Teams die Saisonvorbereitung anstand. Manchmal verzichtete ich des Ringens wegen auf Familienfeste in Italien – und die sind dort noch fast wichtiger als in Deutschland.

 

BZ: Fühlen Sie sich inzwischen mehr als Deutscher oder Italiener?
Tascillo: Ich sage immer: Ich bin ein 200-Prozent-Mensch. Wenn ich in Italien bin, bin ich zu 100 Prozent Italiener – und rede mehr mit Händen und Füßen als mit dem Mund. Bin ich in Deutschland, dann bin ich zu 100 Prozent Deutscher – mit Werten wie Pünktlichkeit und Disziplin.

„Da bekommt man schlechte Laune, wird muffelig.“

 

BZ: Sie haben mal gesagt: Das Gewichtmachen beim Ringen ist nicht gerade beziehungsförderlich. Weshalb?
Tascillo: Ich musste zu meiner aktiven Zeit oft sechs bis acht Kilo Gewicht reduzieren. Sonntag, Montag, Dienstag konnte ich normal essen. Aber von Mittwoch bis Samstagabend durfte ich fast nichts essen, sondern nur trinken. Da bekommt man schlechte Laune, wird muffelig. Das lässt man manchmal an seinem Umfeld aus.


BZ: Einer Ihrer Lieblingssätze lautet: „Am Ende kackt die Ente.“ Gilt der Satz auch für das Playoff-Achtelfinale gegen Kleinostheim?
Tascillo: Ja klar. Vor zwei Jahren im Viertelfinale gegen Nackenheim hatten wir keine Chance, da war schon nach dem Hinkampf klar, dass Endstation sein wird für uns. Nun gibt es ein Achtelfinal-Duell gegen den SC Kleinostheim, der zwar favorisiert ist, aber nicht so eindeutig wie Nackenheim damals. Zudem können wir im Rückkampf tendenziell stärker aufstellen, besonders in den oberen Gewichtsklassen. Wenn wir den Hinkampf knapp gestalten, ist eine Woche später in Kleinostheim noch alles drin für uns. Und dann gilt auch der Satz mit der Ente.


Luigi Tascillo kam als Siebenjähriger mit seinen Eltern aus der italienischen 5000-Einwohner-Gemeinde Caiazzo nach Deutschland – und zwar im Jahr 1969. Als Junge begeisterte sich Luigi Tascillo für den Ringkampfsport. In Italien brachte er es dreimal zu einem nationalen Meistertitel. Die deutsche Staatsbürgerschaft nahm er 1994 an. Seit 19 Jahren arbeitet er als medizinischer Berater für das amerikanisch-englische Unternehmen Smiths Medical im süddeutschen Raum. Seit 2012 ist Tascillo – mit einem Jahr Unterbrechung – Trainer bei der RKG Freiburg, die der 59-Jährige nun zweimal in Folge in die Playoffs um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft führte.
 
 
Aus: BZ-Plus, Georg Gulde, 03.01.2022