Wenn die Freiburger Familie Schäfle in einer ruhigen Minute – vielleicht unterm Tannenbaum – das Sportjahr 2022 Revue passieren lässt, wird sie zum Schluss kommen: Das waren spannende und erfolgreiche zwölf Monate.
Die 19-jährige Sophia Schäfle gewann in der Juniorinnen-Klasse sowohl bei der WM als auch bei der EM die Bronzemedaille im Freistilringen bis 68 Kilo, sie machte ihr Abitur, brach sich die Nase und bekam nach einer Ellenbogenverletzung „allein zu Haus“ kurzzeitig die Krise.
Ihr vier Jahre älterer Bruder Lars hat sich bei der deutschen Meisterschaft zum zweiten Mal den Titel im Freistilringen bis 86 Kilo geholt, ist nach dem erstmaligen Sieg gegen den 30-jährigen Achmed Dudarov auch die deutsche Nummer eins in dieser Gewichtsklasse – und darf folgerichtig erstmals an der Weltmeisterschaft der Aktiven teilnehmen, die vom kommenden Samstag an in Belgrad stattfindet.
Und Leonie, die jüngere Schwester von Lars und ältere Schwester von Sophia, hat es mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft im Unterwasserrugby als stellvertretende Kapitänin zur Silbermedaille bei der Europameisterschaft gebracht.
„Ich glaube, dieses Jahr lässt sich bei mir mit dem Begriff ’turbulent’ ganz gut beschreiben“, sagt Sophia Schäfle. In der Woche vor der deutschen Meisterschaft der Juniorinnen standen die schriftlichen Abiturprüfungen an der Staudingerschule an.
Bei den Titelkämpfen brach sie sich im zweiten Mattenduell die Nase. „Doch es war so viel Adrenalin in mir, dass ich zum dritten Kampf angetreten bin und diesen dann auch gewonnen habe“, sagt sie.
Dadurch wusste sie aber eineinhalb Wochen vor der EM in Rom noch nicht sicher, ob sie die bestreiten kann. Doch es ging. Und nach Rang zwei im Vorjahr wurde sie Dritte. „Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn ich keine Medaille gewonnen hätte“, sagt Sophia Schäfle.
Nach dem Sportabi, das sie wegen ihrer zahlreichen ringerischen Verpflichtungen nach der EM nachholte, war vor der WM. Bei der Vorbereitung auf die Welttitelkämpfe verletzte sie sich am Ellenbogen. Wegen einer ähnlichen Verletzung hatte die junge Frau 2021 die WM absagen müssen. „Ich schob kurz die Krise, zumal meine Familie zu dieser Zeit nicht zuhause, sondern im Urlaub war“, so Sophia Schäfle. Aber dann war’s doch nicht so schlimm mit dem Ellenbogen.
Bei den Welttitelkämpfen in Sofia zeigte sie ihre vielleicht größten Stärken, den Willen und die Kondition, bereits im zweiten Kampf. Gegen Firuzza Esenbaeva aus Usbekistan lag die Freiburgerin nach den ersten drei Kampfminuten bereits mit 0:5 Punkten hinten, schaffte in der zweiten Runde aber den Ausgleich zum 7:7 und gewann dank der letzten Wertung. Nach einem mit 3:6 verlorenen Mattenduell gewann sie dann gegen Luciana Beta (Moldau) im Kampf um Platz drei mit 5:1 – an ihrem 19. Geburtstag.
Früh im Jahr hatte Sophia Schäfle bereits Rang fünf bei der U-23-EM erkämpft. Die WM der Aktiven, bei der der Deutsche Ringer-Bund die Gewichtsklasse bis 68 Kilo nicht besetzt, kommt aber noch zu früh für die trainingsfleißige Athletin der RKG Freiburg. „So gut bin ich sicher noch nicht, um bei den Aktiven mitringen zu können“, sagt Schäfle, die – wie viele Ringerinnen – ihre langen Haare vor einem Turnier zu eng am Kopf anliegenden Zöpfen zusammenbindet. Aus gutem Grund: „Es kommt beim Ringen immer wieder vor, dass an den Haaren gezogen wird, obwohl es verboten ist“, sagt Sophia Schäfle – und ergänzt: „Ich bin sicher nicht diejenige, die damit anfängt. Aber ich lass mir nicht alles gefallen.“
Noch so ein Thema, über das bei der Familie Schäfle in diesem Jahr – vielleicht unterm Tannenbaum – gesprochen werden könnte.
Bei der WM der Aktiven vom 10. bis 18. September in Belgrad starten neben Lars Schäfle noch einige Ringerinnen und Ringer, die am Olympiastützpunkt Freiburg trainieren beziehungsweise aus Südbaden kommen. Nachdem jahrelang die Griechisch-römisch-Athleten in der Überzahl waren, nehmen bei diesen Welttitelkämpfen ausschließlich Freistiler aus der Region teil: bei den Frauen Sandra Paruszewski (57 Kilo), Elena Brugger (59) und Luisa Niemesch (62) – sowie bei den Männern Alexander Semisorow (65) und Kevin Henkel (70).
Bericht aus: BZ e-Zeitung, Georg Gulde, 08.09.2022
Foto: IMAGO/United World Wrestling / Kadir Caliskan